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Beitrag vom 18.08.2009
Schreibe mir - Postkarten nach Copacabana
Claire Horst
Vorlage für den Film des bayerischen Regisseurs Thomas Kronthaler war ein Roman von Stefanie Kremser, die in Brasilien aufgewachsen ist. Bayern und Südamerika, zwischen diesen Koordinaten ist ...
... "Schreibe mir – Postkarten nach Copacabana" angesiedelt.
Die vierzehnjährige Alfonsina lebt mit ihrer Mutter Rosa und ihrer Großmutter Elena in der bolivianischen Kleinstadt Copacabana. Mit ihrer Freundin Tere plant sie schon lange, den Ort zu verlassen und die Welt zu erobern, sobald sie alt genug sind. Copacabana, das bedeutet Leben in 4000 Metern Höhe, eine Mutter, die tagelang nicht zu Hause ist, weil sie weit weg als Stewardess arbeitet, eine Oma, die zu den Hausgöttern betet und ansonsten grenzenlose Langeweile für das junge Mädchen.
Dass Alfonsina von einem anderen Leben träumt, könnte mit der Geschichte ihrer Großmutter zusammenhängen: Auch Elena träumt gern. Mit ihrer Pfeife in der Hängematte im Patio ihres wunderschönen Hauses liegend, denkt sie an die Zeit mit ihrem geliebten Ehemann, dem Bayern Alois, zurück. Dieser – obwohl längst verstorben - kommt häufig zu Besuch und sitzt dann in einer Ecke, seiner Frau liebevoll zuzwinkernd. In märchenhaft versponnenen Bildern wird die lange Reise des jungen Alois gezeigt: Durch das Meer war er von Bayern aus zu seiner künftigen Frau gelaufen, beschützt von "Copac` Ahuna", dem Gott, der das Blaue hütet, wie diese überzeugend erklärt.
Bis heute trägt die Indigena Elena Dirndl, kocht zu besonderen Anlässen Knödel und Reiberdatschi und bringt ihrer Enkelin bayerische Vokabeln bei. Diese Prägung ist an Alfonsinas Verliebtheit in den Touristen Daniel sicherlich nicht unbeteiligt – auch Daniel kommt aus München, sein "Passt schon" versteht Alfonsina sogar. Seine Begeisterung für die bolivianische Vogelwelt und Natur versteht sie allerdings nicht – Daniel ist Ornithologe.
Auch Alfonsinas Mutter Rosa verlangt es noch einem anderen Leben. Ihr Mann, Alfonsinas Vater, ist vor Jahren als Pilot mit dem Flugzeug abgestürzt. Seitdem sehnt sie sich nach einem Mann, der sie aus dem tristen Alltag erlöst. Bis dahin muss sie mit dem gehässigen Gerede der Nachbarinnen leben, die befürchten, sie sei auf ihre Ehemänner aus. Ein abgeschiedenes Kleinstadtleben, in dem der Marktplatz als Umschlagplatz für Klatsch und Tratsch dient, Segnungsrituale, in denen katholische Traditionen mit Naturreligionen verschmelzen, Busse voll TouristInnen als einzige Unterbrechung dieser Ruhe – zunächst scheint es, als werde das vertraute Leben der drei Frauen unter einem Dach immer so weitergehen. Schlag auf Schlag treten jedoch mehrere tief greifende Veränderungen ein und nichts bleibt, wie es war...
Für Alfonsina wird die kurze Begegnung mit Daniel zum Anlass, mit ihrem alten Leben zu brechen. Er hat ihr Flügel gegeben, so formuliert es die Großmutter. Dabei tritt sie im wörtlichen Sinn in die Fußstapfen ihres Großvaters und bricht zu neuen Ufern auf…
Streckenweise ist die Handlung des Films sehr vorhersehbar. Katastrophen werden derart penetrant angekündigt, dass man froh ist, wenn sie endlich eintreten. Zudem arbeitet der Regisseur mit überdeutlichen Klischees. Seine Rosa ist eine Männer jagende "rassige" Schönheit, die jedem Kerl "schöne Augen macht" und sich ihrer Tochter gegenüber verantwortungslos verhält. Die Männer sind – abgesehen von den bereits verstorbenen natürlich – allesamt treulose Machos. Elena ist das Musterbild einer indigenen Matriarchin, unerschütterlich wie ein Fels. Ihr verstorbener Mann, der immer wieder irgendwo erscheint, ist ein Bilderbuchbayer in Lederhosen. Und trotzdem bleibt neben dieser aufdringlichen Darstellung der farbenfrohen, naiven, naturverbundenen Indigenas etwas anderes haften.
AVIVA-Tipp: Die Bilder, in denen der Film erzählt wird, sind von derart hinreißender Schönheit, dass alle Mängel des Drehbuchs wieder wettgemacht werden. "Wir sind hier am Arsch der Welt" meint Alfonsina mit Blick auf den Titicacasee. "Wenn nur der Rest der Welt so schön wäre wie sein Arsch", findet Daniel, der die Schönheit des Andenlandes kaum fassen kann, und das Kinopublikum kann sich dem nur anschließen. Allein die Arbeit des Kameramannes Christoph Oefelein, der auf Extremsport- und Unterwasseraufnahmen spezialisiert ist, lohnt diesen Film. Die Schönheit Boliviens macht bei diesen Bildern wirklich sprachlos.
Gerettet wird der Film zudem durch die DarstellerInnen, allen voran Júlia Hernández Fortunato (Alfonsina) und Agar Delos (Elena). Alfonsina und Elena sind die tragenden Gestalten des Films, ausdrucksstarke Persönlichkeiten, die einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Agar Delos ist in Bolivien eine bekannte Komödiantin und Darstellerin indigener Figuren. Gern würde man sie in einer derartigen Rolle sehen, die sie nicht auf einen Typus festlegt.
Das Problem dieses Films ist sein allzu exotisierender Blick auf das Fremde – ausgeglichen und zumindest teilweise ironisiert wird dieser allerdings durch die Vermischung mit dem Bayerischen – das ebenso klischeehaft dargestellt ist.
Zum Regisseur: Thomas Kronthaler wurde 1967 im oberbayerischen Erding geboren und ging in München zur Schule. Er absolvierte zunächst eine Ausbildung zum Werkzeugmacher und kam erst 1990 zum Film, als er ein Studium der Regie und Dramaturgie an der Hochschule für Film und Fernsehen in München begann. Sein Film "Die Scheinheiligen", der dokumentarisch den Streit um den Bau eines Fast-Food-Restaurants an der Autobahn in der Gemeinde Irschenberg nachzeichnet, wurde auf dem Münchner Filmfest 2001 zum Publikumsliebling und lief erfolgreich im Kino. Daneben hat er für zahlreiche Fernsehfilme das Drehbuch geschrieben und Regie geführt.
Schreibe mir – Postkarten nach Copacabana
Ein Film von Thomas Kronthaler; Deutschland 2009
Buch: Stefanie Kremser
Kamera: Christof Oefelein
DarstellerInnen: Júlia Hérnandez (Alfonsina), Friedrich Mücke (Daniel), Carla Ortiz (Rosa), Agar Delos (Elena)
Deutsch / Spanisch (OmU)
Format: 35 mm/Digital
Ton: Dolby SRD
Länge: 96 min.
Ohne Altersbeschränkung
Kinostart: 20.08.2009
Der Film im Netz: www.schreibemir-derfilm.de